Das Disneyland in Paris irritiert Fans und Besucher durch einen radikalen Sparkurs. Passen Mickey Mouse und Europa einfach nicht zusammen?
Am Beispiel des Vergnügungsparks vor den Toren von Paris kann man leicht nachvollziehbar verdeutlichen, welchen Stellenwert Investitionen in einem Unternehmen haben (sollten) und was passiert, wenn man diese allzu leichtfertig zurückfährt.
Ein kurzer Rückblick:
Jeder liebt Disney! Bambi, Schneewittchen, Fluch der Karibik, Findet Nemo, Mary Poppins oder Die Monster AG: Groß und Klein verbindet mit Disney eine magische Erinnerung, eine zauberhafte Welt, in die man im Kino (oder später vor dem heimischen Fernsehgerät) eintauchen durfte. Der genialische Visionär Walt Disney hatte allerdings schon früh größere Pläne: Man sollte diese friedvolle und unschuldige Welt auch ganz persönlich erleben können. Schon 1955 eröffnete sein erster Freizeitpark, das Disneyland im kalifornischen Anaheim, 1971 gefolgt vom mittlerweile gigantischen Walt Disney World in Orlando, Florida.
Ohne weiter ins Detail gehen zu wollen: Der Expansionsdrang von Disney war zunächst euphorisch ungebremst. 1983 eroberte man Asien und eröffnete in der Nähe von Tokio den ersten Park außerhalb der USA, der 2001 um einen zweiten Park ergänzt wurde. Hong Kong folgte übrigens 2005, Shanghai wird gerade gebaut.
Schneewittchen, Dornröschen, Gebrüder Grimm: Auf nach Europa
Naheliegend (einerseits) und irritierend (andererseits) waren insofern die Pläne von Disney, auch auf dem „Mutterkontinent“ der Disney-Charaktere einen Park bauen zu wollen. Wenn man schon die europäischen Märchen-Klassiker als Zeichentrickfilme verarbeitet, sich beim jeweiligen Zentrum der diversen Disney-Parks offensichtlich auf das gigantomanische Schloss Neuschwanstein bezog, dessen Erbauer nicht weniger fantasievoll als Walt Disney seine Pläne verfolgte, dann war dieser Schritt eigentlich nur eine Frage der Zeit.
Und eine Frage des Ortes. Ein europäisches Disneyland, wo sollte man bauen? In die engere Wahl kamen Spanien (gutes Wetter), England (keine Sprachprobleme) oder auch Deutschland (zentral gelegen). Bei beiden letztgenannten Möglichkeiten waren allerdings die mangelnden zur Verfügung stehenden Flächen letztendlich ausschlaggebend für eine Absage. Frankreich bekam den Zuschlag, denn dort passten augenscheinlich zunächst alle Faktoren zum Anforderungsprofil.
Ausgerechnet Frankreich?
Das bis dato eher vernachlässigte Areal etwa 30 Kilometer entfernt von Paris wurde regelrecht aus seinem Dornröschenschlaf wach geküsst: Auf einem riesigen Gelände entstand die größte Baustelle Europas. 1987 begann man mit den fünfjährigen Bauarbeiten, diverse Milliarden wurden zunächst in den Park, Hotels und die Infrastruktur gepumpt. 1992 eröffnete der Park, anfangs noch unter dem sperrigen Namen „Euro Disney Resort“. Als man zunehmend mit der Bezeichnung „Euro“ die – nicht immer geliebte – neue europäische Währung verband wurde der Name geändert. Mittlerweile wird die deutlich eingängigere Bezeichnung „Disneyland Paris“ verwendet.
Und die Franzosen?
Man prophezeite freudig-empört den Untergang des Abendlandes, ausgerechnet ein amerikanisches Freizeitunternehmen okkupierte nahe des (intellektuellen) Zentrums der Grande Nation ein Gebiet für sich und erklärte es zum neuesten Außenpunkt der globalen Expansions-Strategie. Zu vermeidende Anfangsfehler wie das damals herrschende weltweite Alkohol-Verbot in Disney-Parks wurde genüsslich als überhebliche Arroganz gegenüber den europäischen Gewohnheiten zitiert: Wer wolle sich anmaßen, den Franzosen ihr Glas Wein zum Diner (oder den Deutschen ihr Bier zum Feierabend) maßregelnd zu verbieten?
Finanzen, Finanzen, Finanzen:
Pünktlich zum 20. Geburtstag des Disneylands im vergangenen Jahr trat der langjährige Aufsichtsratschef Jeancourt-Galignani zurück. Seine Begründung: Der Mutterkonzern The Walt Disney Company mische sich zu sehr in das Europa-Geschäft ein, verfolge dabei aber nur seine globalen Interessen. Dabei hatte der europäische Disney-Park von Anfang an mit einem gewaltigen Schuldenberg zu kämpfen und machte trotz Rekordzahlen von über 16 Millionen Besuchern im vergangenen Jahr einen Verlust von über 85 Millionen Euro. Dabei erwiesen sich die Besucher als äußerst spendabel, so zahlten die Besucher durchschnittlich knapp 46,- Euro pro Tag für Essen und Souvenirs – zusätzlich zum hohen Eintrittspreis und Hotelkosten. Zum Vergleich: Im norddeutschen Heidepark berappen Besucher durchschnittlich etwa 25,- Euro täglich.
Investition? Erst mal nicht...
Zwar wurde das Disneyland vor Beginn der Feierlichkeiten zum 20. Geburtstag 2012 noch umfassend renoviert, doch Farbe und Mörtel können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es an allen Ecken und Enden im Park bröckelt. Was jedoch wirklich fehlt, sind echte Neuerungen und Innovationen. Einzig eine Bahn im Nachbarpark, den Walt Disney Studios, wird bis 2014 noch fertig gestellt. Bei dieser Fahrt wird man auf die Größe der Maus ...entschuldigung Wanderratte Rémy aus dem Trickfilm "Ratatouille" geschrumpft und fährt durch ein überdimensionales Restaurant. Ansonsten? Fehlanzeige. Wie schlimm es um die Situation im Disneyland steht wird schnell deutlich, wenn man sich die eigentlichen und generellen Ziele einer Investition besieht:
Ersatzinvestition: Man investiert, um den Ist-Zustand auf lange Sicht zu gewährleisten
Investition als Reparatur, gewissermaßen. Doch wohin man im Park auch blickt, überall herrscht Flickwerk und Provisorium. Nur das Allernötigste wird repariert, in der Main Street, quasi dem Schaufenster des Parks, zeigen aufgespannte Sicherheitsnetze an den pittoresken Gebäuden, dass der Zahn der Zeit an den Gipsfassaden nagt. Die Fans des Parks registrieren dies mit Entsetzen, der Betreiber von
http://www.dein-dlrp.de, einem der größten deutschen Fan-Portale im Internet, bringt es auf den Punkt (Zitat):
"Wie blind & naiv kann man bei der Walt Disney Company eigentlich sein, wenn man nicht sieht, dass das DLP endlich einen Rettungsplan braucht und nicht nur Flickschusterei?"
Neuinvestition: Man investiert, um die gewonnenen Kunden – in diesem Fall Besucher - zu halten
Ebenso Fehlanzeige. Denn anstatt das bestehende Angebot zu erhalten, wird gekürzt, verknappt, reduziert. Dies beginnt bei den täglichen Paraden, die einst ein Markenzeichen der Disneyparks waren und mittlerweile sträflich vernachlässigt werden, und zieht sich durch das gesamte Entertainment-Programm des Parks. Shows, in denen die beliebten Disney-Charaktere auftreten, gibt es mittlerweile keine einzige mehr. Brachliegende, riesige Bühnen wie etwa das Chaparral Theater mit knapp 1400 Plätzen im Frontierland, das den Wilden Westen darstellt, werden dem Verfall preisgegeben.
Das Théâtre du Château wurde zu einem „Meet'n'Greet“ mit Mickey Mouse umfunktioniert, im ehemaligen Theatersaal befindet sich nun die serpentinenartige Warteschlange,
um mit der berühmten Maus ein Foto schießen zu können. Dringend notwendige Reparaturen an den technischen Ausstattungen der diversen Achterbahnen werden kurzerhand aufgeschoben, so fährt dann eine Bahn schon mal ohne die gewohnte Musik und Lichteffekte. Das mag beim ersten Besuch nicht weiter auffallen, doch langjährige Besucher reagieren ernüchtert: „Lieblos, leer und verlassen wirkend“ wird ein Teil des Parks beschrieben, „komplett veraltet“ und „nicht mehr zeitgemäß“ sind noch vorsichtige Formulierungen. Während man das Angebot stetig zurückfährt, steigen im gleichen Rhythmus die Preise, die allerdings noch nie wirklich familienfreundlich waren. Ein spontaner Besuch mit zwei Kindern in einem Mittelklassehotel im Disneyland am kommenden Wochenende von Freitag bis Sonntag würde locker 1500,- Euro kosten, bei eigener Anreise und inklusive Frühstück.
Erweiterungsinvestition: Man investiert, um neue Kunden zu gewinnen
Lange wurde gemunkelt, und eigentlich wäre es naheliegend: Durch den Kauf von Lucas Film besitzt Disney die Rechte an Star Wars, der legendären Sternensaga. Neue Kinofilme sind geplant, und eine Integrierung in den Park wäre eine optimale Ergänzung. Denn dadurch würden neue Kundenschichten angesprochen werden, nämlich jene, die mit Peter Pan oder Goofy eher weniger anfangen können. Gerade die Zielgruppe der jungen, männlichen Besucher wurde in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt, hingegen werden kleine Mädchen mit einem Überangebot an Prinzessinnen geradezu bombardiert. Wenn man zudem bedenkt, dass in allen Freizeitparks in Europa in den vergangenen Jahren kräftig investiert wurde und selbst in eher kleinen Parks wie dem Djurs Sommerland im dänischen Nimtofte jährlich eine neue Achterbahn mit jeweiligen Superlativen präsentiert wird, dann erscheint der Investitions-Stop im Disneyland als Bankrotterklärung.
Der schon erwähnte Betreiber des Forums
http://www.dein-dlrp.de bringt es auf den Punkt:
"Wenn der Stopp wirklich keine Neuausrichtung und Umplanung bedeutet, sondern einen echten dauerhaften Stopp - ja was dann? Das wäre betriebswirtschaftlicher Unsinn.
Ein wirtschaftlich nicht tragfähiges Unternehmen wurde noch nie dadurch tragfähig, dass man einfach nichts mehr tut - dann könnte man, und das meine ich ernst - den Laden wirklich direkt schließen oder verkaufen - denn dauerhaft nur auf neuen Darlehen zu arbeiten, bringt niemanden weiter, das ist einfach vollkommen sinnfrei.
Eine dauerhafte Tragfähigkeit kann man nur erzielen, wenn man so investiert, dass das Produkt attraktiv genug wird, um entsprechend Konsumenten zu überzeugen, dafür (mehr) Geld auszugeben."
Um die Dramatik zu verdeutlichen: Wer als Achterbahnfan das Disneyland besucht, hat die Wahl zwischen drei Bahnen, die mittlerweile 21, 19 und 18 Jahre alt sind. Wer allerdings den Europapark in Rust besucht hat die Qual der Wahl unter 11 Achterbahnen, darunter die die schnellsten, höchsten und neuesten Bahnen Europas. Kurzer Preisvergleich für ein Tagesticket: Disneyland 62,- Euro, Europapark 39,- Euro.
Die Diskussion in den europäischen Fanforen schlägt hohe Wellen und wird oftmals sehr emotional geführt. Dies darf nicht verwundern, denn woraus besteht das eigentliche Kapital des Disney-Konzerns wenn nicht aus Emotionen? Dass nun allerdings eher Emotionen wie Ernüchterung, Wut und Trauer vorherrschen, wenn man an das Pariser Disneyland denkt, das kann nicht im Sinn der Betreiber sein.
Ein Zitat von Walt Disney soll der Schlusssatz sein:
The way to get started is to quit talking and begin doing. (Um loszulegen, muss man aufhören zu reden und anfangen zu handeln.)